Pressqualität von Vinyl

Ich muss jetzt auch mal kurz was zum Thema „Pressqualität“ loswerden – Anlass war ein Leserbrief in der Mint-Ausgabe 11/20. Der Leser sagt „die Pressqualität ist schlechter geworden“, Mint sagt im Wesentlichen „nein, ist sie nicht“.

Recht haben beide – aber Mint eigentlich ein bisschen mehr. Ja, auch früher gab es mal schlechte Pressungen, meistens waren das aber welche aus z.B. Italien, Griechenland und oft auch den USA, wo mit stark schwankender Qualität gepresst wurde. Mit älteren italienischen Pressungen habe ich persönlich auch gemischte Erfahrungen gemacht. Pressungen aus Deutschland, den Niederlanden und UK waren früher in der Regel von hoher Qualität und das waren auch die in den 80ern am meisten hier verkauften Schallplatten. Daher auch der Eindruck, das alte Pressungen so gut sind, die hier verkauften LPs stammten natürlich meistens aus DE oder NL.

Neue Pressungen kommen nun oft auch vom Presswerk GZ, wo die Pressqualität immer noch sehr schwankend sein kann (aber mittlerweile besser wird, so zumindest mein Gefühl). Bei GZ kann man seine Pressungen allerdings auch in unterschiedlichen Qualitätsstufen bestellen, bzw. mit unterschiedlich guten Qualitätskontrollen. Besonders bei den günstigen Pressungen, die man um 10-15 € kaufen kann, erwischt man oft eine Zitrone. Aber auch GZ hat sehr gute Pressungen zustande gebracht, z.B. das Soundgarden Reissue von Superunknown.

Die aktuellen „guten“ Pressungen sind (Achtung, auch meine persönliche Meinung) wieder oft aus Deutschland, z.B. von Optimal und ganz besonders aus den Niederlanden (Record industry). Schlechte Pressungen kommen immer noch gerne aus den USA (z.B. Rainbo). Wie man also sieht, ist die Verteilung der Presskapazität heute eine andere und daher eventuell auch der Anteil der „faulen Eier“.

Dazu kommt noch ein weiteres Problem – die nervigen 180g-Pressungen, die außer einem haptischeren Gefühl (wenn man es mag) keinerlei Mehrwert bringen. Es ist wirklich schade, dass 180g immer noch der Quasi-Standard ist. Soundtechnisch bringt das keinerlei Vorteil, nur mehr Gewicht im Plattenschrank und einen Sticker mit „audiophile 180g“ … so überflüssig wie der Hinweis auf eine limitierte Edition. Nach einem Gespräch mit einem Verantwortlichen bei Optimal ist mir allerdings klar geworden, das nicht die Presswerke dafür verantwortlich sind, sondern das die Plattenfirmen es leider immer noch häufig so bestellen.

Wie man es fast perfekt macht, ist aber z.B. die neue Tom Petty Wildflowers-Pressung. „Nur“ 150g schwer, perfekt plan, super gepresst. Es geht also noch. Oder die aktuellen Kraftwerk-Pressungen. Ok, die haben leider auch 180g, sind aber wirklich sehr gut gemastert und gepresst.

Mint hat aber auf jeden Fall recht, dass man sich heute viel intensiver über Pressqualität austauscht (discogs oder im stevehoffmann-Forum), außerdem denke ich, dass die Leute durch jahrelanges „Digitalhören“ gegenüber analogen Störgeräuschen einfach empfindlicher geworden sind. Man muss hier allerdings beachten, dass das Bashing bestimmter Presswerke oder Pressungen immer persönliche Erfahrungen sind und in Foren oft künstlich aufgebauscht werden.

Zu den unbeliebten Eigenschaften von Vinyl gehört seit jeher, dass LPs manchmal von Werk aus wellig sind, das sie dezentriert sein können, hör- und auch sichtbare Kratzer von Werk aus aufweisen, „non fil/stitching“. All diese Probleme sind leider nicht neu und gab es auch in den 70ern und 80ern schon. Dazu aber später mehr auf einer anderen Seite.

Ich denke, das Hauptproblem liegt eher an folgender Tatsache: Heutzutage sind die Auflagen deutlich kleiner und bei geringen Auflagen schlagen Pressfehler in der Gesamtheit und natürlich auch der Wahrnehmung stärker durch. Letztlich darf man bei aller Vinyl-Liebe nie vergessen – als damals die CD herauskam, waren die Leute mehr als glücklich, endlich ein gegen Kratzer unempfindlicheres Medium zu besitzen und sich eben keine Gedanken mehr um Pressqualität zu machen. Das CDs aber auf Dauer den Charme von Büroartikeln haben, darauf ist man dann erst später gekommen. die Pressung von Schallplatten muss man ein wenig mit dem Backen von Brötchen vergleichen – wenn man 1000 Stück davon backt, wird man immer einige perfekte haben und jede Menge mit dem ein oder anderen kleinen Makel, die aber immer noch schmecken können. Was ich damit sagen will – das Pressen von Vinyl kann herstellungsbedingt niemals immer das gleiche Ergebnis herausbringen. Manchmal sind auch die ersten 100 LPs für die Tonne oder die letzten 100. Bei den früheren, großen Auflagen wurden diese möglicherweise eher vernichtet, als bei den heutigen Kleinauflagen. Die Qualitätskontrolle war früher ebenfalls anders, da die Leute damals ein anderes Verhältnis zu Vinyl hatten. Es hat jeder benutzt, es war ein bekannter Gebrauchsgegenstand und fast jeder war damit vertraut. Heute arbeiten in der Qualitätskontrolle u.U. Menschen, die mit diesem Medium nicht aufgewachsen sind und dementsprechend nicht so ein „Auge“ dafür haben.

Bedenken muss man auch die Komplexität des Produktes. Im Gegensatz zu einer CD-Produktion kommt bei einer LP-Herstellung noch das schwierigere Vinyl-Mastering und der komplexe Herstellungsprozess hinzu, zu der auch die aufwendigere Verpackung gehört.

Früher war die gesamte Musikproduktion auch besser auf Vinyl zugeschnitten. LPs waren meist nicht länger als 45 min und passten perfekt auf eine LP. Das Mastering war entsprechend auf Vinyl zugeschnitten, es gab keinen Loudness-War und es wurde auch kein, eigentlich nicht rillentaugliches Material, was digital produziert wurde, in eine Rille geschnitten. Das ist vielleicht letztendlich der wichtigste Punkt – die Qualität des Ausgangsmaterials. Auch Reissues werden oft nicht von den Originalbändern erstellt, sondern von „Digitalisaten“, also digitalen Kopien der Masterbänder. Im direkten Vergleich klingen Reissues dann manchmal nicht so gut, wie das Original, manchmal etwas anders (weil nochmals Remastered, was hier idR bedeutet, mehr Bass und lauter) aber gelegentlich auch deutlich besser (z.B. die letzten Led zeppelin-Reissues oder das Beach boys-Album Pet sounds).

Also, früher war mitnichten alles besser, nur die Welt hat sich ausschließlich um Vinyl und Tape gedreht und nicht wie heute um Streaming. Dabei entstehen immer noch hervorragende Vinylpressungen und darüber sollten wir als Vinylhörer und Sammler froh sein, anstatt immer das Haar in der Suppe zu suchen.

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